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Mittwoch, 5. März 2014

2014-02-26 Vortragsveranstaltung im Kino: Das Mitläufertum als eine Art Naturgesetz

Das Mitläufertum als eine Art Naturgesetz

Nach 1945 wurde geschwiegen und vergessen, dann wurden Straßen benannt und Orden verteilt

Von Gunnar Steinbach

Finnentrop. „Josefa Berens, Maria Kahle – Nazi-Kultur und Geschichtsgedächtnis im katholischen Sauerland“ lautete das Thema einer Informationsveranstaltung, zu der Kreisheimatbund und der Heimatbund Gemeinde Finnentrop am Montag ins Finnentroper Kino geladen hatten. Referent war der Düsseldorfer Theologe und Publizist Peter Bürger, Leiter des Christine Koch-Mundartarchivs, Museum Eslohe.
„Straßennamen“, so Bürger, „sind Fenster in die Vergangenheit“, und deshalb sei kritisch zu prüfen, ob die auf diese Weise Herausgehobenen diese Ehrung tatsächlich verdienten. Eine Frage, die sich angesichts ihrer Schriften im Falle von Maria Kahle und Josefa Berens von alleine beantworte.
In seinen Arbeiten zeichnet Bürger Leben und Werk der beiden nach, die als prominente Nazipropagandistinnen eine Blut- und Bodenideologie vertraten und mit rassistischen sowie antisemitischen Hetzschriften den Naziverbrechen den Boden bereiteten.
Auch für Bürger überraschend, meldete sich am Montagabend mit Josef Rademacher aus Schliprüthen ein Zeitzeuge, der über ein Treffen mit Josefa Berens berichtete. Gemeinsam mit dem Schauspieler, Regisseur und Intendanten Gustaf Gründgens besuchte Rademacher 1957 Josefa Berens in Saalhausen. „Ein Satz“, so Rademacher, „ist mir dabei in Erinnerung geblieben. Sie sagte: Man hätte das jüdische Volk viel früher ausrotten müssen, weil es eine latente Gefahr für die Reinheit der arischen Rasse ist.“
Sie wussten es nicht besser. So klar wie die Verankerung der beiden im Nationalsozialismus, so schwierig die Antwort auf die Frage, wie es Berens und Kahle dreißig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf Straßenschilder schaffen konnten. Bürger erhebt keinen Vorwurf an die damals Verantwortlichen. Im Gegenteil: „Sie wussten es nicht besser.“ Als Kronzeuge für das „Nichtwissen“ zitierte Bürger sich selbst. Als Mitherausgeber der Autobiographie von Josefa Berens „Alles ist Wandel“ hatte er noch 1992 ein sehr wohlwollendes und verharmlosendes Vorwort geschrieben. Wie war das möglich?
Bürger erinnerte zunächst daran, dass das Sauerland für die Nazis eine „harte Nuss“ war. Die Stimmenanteile der NSDAP waren teilweise verschwindend gering, gewählt wurde das Zentrum. Josefa Berens selbst beklagt, dass „die Schwarzen (gemeint sind Priester und das Zentrum) einen vollen Anschluss an die neue Hitler-Zeit noch sabotieren.“ Die Distanz zu den braunen „Christus-Feinden“ bedeutete aber nicht Widerstand, „sondern ein Sich-Arrangieren im Mitläufertum“, so Bürger. Dieses verbreitete Mitläufertum sei normal gewesen, fast eine Art Naturgesetz. Nach dem Krieg habe man geschwiegen. Geschwiegen über das Mitläufertum, geschwiegen über die nahen Opfer, aber auch geschwiegen über die, die sich aufgelehnt und damit gegen das „Naturgesetz“ verstoßen hatten. Peter Bürger erinnerte an das Beispiel von Josef Rüther aus Olsberg, der als katholischer Antifaschist von den Nazis verfolgt wurde und sich noch in den 50er Jahren mit dem Vorwurf konfrontiert sah, er habe durch seine unbeugsame Haltung sich und seine Familie gefährdet.
Es sei zu einem normalen Verdrängungsprozess gekommen, der dazu geführt habe, dass selbst Tiefbraune Orden verpasst bekamen und in höchste Ämter befördert wurden.
Es könnte so einfach sein Peter Bürger appellierte an alle Beteiligten, die Diskussion um Straßennamen nicht zu einem Parteien-Gezänk werden zu lassen, sondern nach Möglichkeit einen gemeinsamen Entschluss zu fassen. Insbesondere in Finnentrop könne das so einfach sein, da man mit Maria Autsch, Pater Kilian Kirchhoff und Josef Quinke aus Fretter drei Widerständler in den eigenen Reihen habe, die für ihre unbeugsame Haltung mit dem Leben bezahlt hätten.

(Quelle WR vom 26.2.2014)


 Ankündigung der Vortragsveranstaltung vom 19.02.2014 (Quelle WR vom 19.02.2014):

Vortrag im Finnentroper Kino

Nazi-Kultur und Geschichtsgedächtnis

Finnentrop. Am Montag, 24. Februar, um 18.30 Uhr wird der Düsseldorfer Theologe und Publizist Peter Bürger im Kino bei der Festhalle Finnentrop einen Vortrag zum Thema „Josefa Berens, Maria Kahle – Nazi-Kultur und Geschichtsgedächtnis im katholischen Sauerland“ halten. Zu dieser Veranstaltung laden der Kreisheimatbund Olpe und der Heimatbund Gemeinde Finnentrop alle Interessierten, insbesondere die Anwohner der nach diesen Schriftstellerinnen benannten Straßen in Finnentrop-Bamenohl und in Lennestadt-Gleierbrück, herzlich ein.

Der völkische Flügel

Als Leiter des Christine-Koch-Mundartarchivs am Museum Eslohe hat Peter Bürger bereits vor einem Jahr in seiner Dokumentation unter den Titel „Der völkische Flügel der sauerländer Heimatbewegung“ auch die Benennung von Straßen nach Heimatdichtern mit nationalsozialistischem Hintergrund diskutiert und um die Umbenennung der Straßen gebeten. In seinem Vortrag möchte er aufzeigen, dass es hierbei auch um Heimatpatriotismus und um unsere Gegenwart geht.
Das Christine-Koch-Mundartarchiv kündigt an, noch in diesem Frühjahr in Zusammenarbeit mit dem Kreisheimatbund Olpe zwei weitere spezielle Internetdokumentationen zu Josefa Berens und Maria Kahle zu veröffentlichen. Außer der Reihe soll auch ein Heft zu den drei großen Christen aus Finnentrop, namentlich Maria Autsch, Pater Kilian Kirchhoff und Josef Quinke, erscheinen, die ihren Widerstand gegen das Hitler-System mit dem Leben bezahlen mussten.


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