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Mittwoch, 12. Februar 2014

2014-02-12 Antrag der FÜR-Fraktion zur Straßen-Umbenennung wird abgelehnt


CDU und SPD schweigen Antrag vom Tisch

Antrag der FÜR-Fraktion zur Straßen-Umbenennung wird ohne ein Wort der Begründung abgelehnt 

Von Gunnar Steinbach

Finnentrop. Zu einer in der parlamentarischen Geschichte der Gemeinde Finnentrop und vermutlich weit darüber hinaus wohl einmaligen Situation kam es gestern Abend im Rat Finnentrop. Eine „Groko“ aus CDU und SPD lehnte den Antrag der Für-Fraktion ab, die „Josefa-Berens-Straße“ und die „Maria-Kahle-Straße“ in Finnentrop umzubenennen. Nicht die Ablehnung kam überraschend, die Art und Weise war es. Sie geschah schweigend.

Der Antrag der FÜR-Fraktion, noch einmal über die Entscheidung vom Sommer zu debattieren und die damals offensichtlich ignorierten Verstrickungen der beiden Frauen in den Nationalsozialismus noch einmal zu überdenken, waren CDU und SPD keinen Atemzug wert. Teilweise grinsend schwiegen sie sich aus und hoben die Hand, als Bürgermeister Dietmar Heß zur Abstimmung kam:

Mit 21 Nein, 10 Ja und einer Enthaltung wurde der FÜR-Antrag vom Tisch geschwiegen.

Entscheidung war falsch

Zu Beginn der „Diskussion“ hatte Christian Vollmert seinen Antrag begründet. Der Rat habe im Juli einstimmig, also auch mit den Stimmen seiner Fraktion, beschlossen, die Maria-Kahle-Straße und Josefa-Berens-Straße nicht umzubenennen: „Wir mussten im Nachhinein feststellen, dass diese Entscheidung aus vielen Gründen falsch war“, so Vollmert.

Aufgrund der eindeutigen Forschungsergebnisse der Literaturwissenschaft stehe aber zweifelsfrei fest, dass Maria Kahle und Josefa Berens schon in der Weimarer Republik entschiedene Anhänger des Nationalsozialismus gewesen seien und damit sei eine offen antisemitische, also judenfeindliche Haltung einher gegangen:

„Danach gilt festzuhalten, dass Maria Kahle und Josefa Berens Teil des menschenverachtenden Systems waren, das zu Auschwitz und anderen unaussprechlichen Verbrechen geführt hat. Diesen Personen darf die Nachwelt kein Gedenken bewahren. Auf Straßenschildern haben ihre Namen nichts zu suchen.“

Vollmert verwies weiter darauf, dass mittlerweile in Eslohe, Olsberg, Arnsberg und Sundern Straßen unter Beteiligung der Anwohner umbenannt worden sind.

Grußwort des Bürgermeisters

Vollmert erinnerte auch an die Verlegung der Stolpersteine vergangene Woche in Lenhausen.In seinem Grußwort habe Bürgermeister Heß die Stolpersteine als ein Mahnmal dafür bezeichnet, dass sich so etwas in Deutschland nie wieder ereignen dürfe:

„Haben Sie, Herr Bürgermeister, hierbei auch daran gedacht, dass man dieses nur durch die Erinnerung an die Opfer erreichen kann, doch niemals dadurch, dass man der Täter gedenkt?“

Nach Ansicht Vollmerts wäre eine Straßenumbenennung in Finnentrop besonders leicht gewesen, weil zwei Alternativen vorhanden sind, die sich gleichsam aufdrängen: Maria Autsch und Alexander Haindorf. (Siehe Infobox).

Eine schwere Entscheidung

Den einzigen weiteren Redebeitrag lieferte Petra Krempel für die UWG-Fraktion, die einräumte, dass sie sich schwer getan habe, die Entscheidung aus dem Sommer zu revidieren.

Die UWG sei immer für eine möglichst große Bürgerbeteiligung: „Und dann ist es schwer, dem Bürger zu sagen, du hast dich falsch entschieden. Aber vielleicht haben wir damals eine unbequeme Entscheidung auf den Bürger abgeschoben.“

INFO-Box:

Die Alternativen

Maria Autsch wurde 1900 in Röllecken geboren und wuchs in Bamenohl auf, ehe sie in den Trinitarier-Orden eintrat. 1944 ist sie, bekannt geworden als „Engel von Auschwitz“, im KZ an Unterernährung und Arbeitsüberlastung gestorben. Sie wird in Kürze selig gesprochen.

Der Jude Alexander Haindorf, 1784 in Lenhausen geboren, war ein in ganz Deutschland bekannter Mediziner, Psychologe, Universitätsdozent und Publizist. 1862 ist er in Münster gestorben. Die Stadt Münster hat eine Straße nach ihm benannt.


Kommentar von Gunnar Steinbach:

Verhöhnung parlamentarischer Standards

Der Auftritt der Finnentroper Groko gestern Abend war eine Verhöhnung von parlamentarischen Standards und Regeln. Politiker, die ein solches Thema locker vom Tisch schweigen, müssen sich fragen lassen, was sie im Rat zu suchen haben. Sicher ist die FÜR-Fraktion Bürgermeister und anderen Fraktionen nicht nur einmal auf die Füße gestiegen und auf die Nerven gegangen, aber das hätte gestern keine Rolle spielen dürfen, da ging es um die Sache, um eine wichtige Sache.

Petra Krempel hat Recht, wenn sie vermutet, dass im Sommer mit dem Bürgerentscheid ein unbequemes Thema auf den Bürger abgeschoben worden ist. Der Bürgerwille als Schutzschild derjenigen, die keine Verantwortung übernehmen wollen.

Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit erfordert ein Geschichtsbewusstsein, das über die Frage hinaus geht, wer vor fünf Jahren Schützenkönig im Ort war. Einem Ja-Nein-Fragebogen einen zweiseitigen Aufsatz beizulegen, ersetzt dieses Bewusstsein nicht, denn den meisten Anwohnern fehlte wohl Zeit und/oder Bereitschaft, sich auf die Schnelle mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Das heißt, diese Diskussion kann nur im Rat geführt werden und kann auch nur ein Ergebnis haben: Josefa Berens und Maria Kahle haben niemanden umgebracht und waren in diesem Sinne keine Naziverbrecher, aber sie haben der menschenverachtenden Blut- und Bodenideologie gehuldigt, die zu millionenfachem Mord geführt hat und sind nicht geeignet, mit Straßennamen geehrt zu werden. Eine Erkenntnis, die sich überall im Sauerland Bahn bricht, nur nicht in Finnentrop.

„Nur wenn sich Deutschland zu seiner immerwährenden Verantwortung für die moralische Katastrophe in der deutschen Geschichte bekennt, können wir die Zukunft menschlich gestalten. Oder anders gesagt: Menschlichkeit erwächst aus der Verantwortung für die Vergangenheit“. Die, die hier Verantwortung einfordert, hätte nach dem gestrigen Ergebnis wohl keinen Platz in der Finnentroper Kroko unter Aufsicht von Bürgermeister Dietmar Heß. Es war übrigens Bundeskanzlerin Merkel vor der Knesset in Israel.

Was denkt Dietmar Heß?

Die Antwort gibt er selbst in einem Brief an die Vorsitzende des Kreisheimatbundes, Roswitha Kirsch-Stracke, in dem er sich über Kritik von Professor Hubertus Halbfas an dem Finnentroper Vorgehen beschwert: „Zweifelhaft erscheint mir allerdings, nach immerhin fast 70 Jahren der Beendigung des Naziregimes in Deutschland rückwirkend politische Hygiene in doch ziemlich aggressiver Form bis hin zur Bezeichnung von Straßennamen betreiben zu müssen.“

Nach 70 Jahren müsse es also mal gut sein, meint der Finnentroper Bürgermeister.

Bei der Verlegung von Stolpersteinen in Lenhausen zum Gedenken an die vertriebene und ermordete Familie Jacob ließ derselbe Bürgermeister am Donnerstag dem Anlass entsprechend wissen, dass es uns allen gut täte, vor Ort an die Verbrechen der Nazis erinnert zu werden. Da die Dimension des Geschehens unsere Vorstellungskraft übersteige, sei es gut, wenn aus der Anonymität und der Masse, in der keine Individuen mehr wahrgenommen würden, an Menschen und ihre Schicksale erinnert werde. Völlig richtig. Aber im Sinne der Glaubwürdigkeit wäre es vielleicht besser, wenn solche Termine in Finnentrop künftig von einem der stellvertretenden Bürgermeister wahrgenommen würden, bis der Bürgermeister sich entschieden hat, ob es jetzt mal gut sein muss, oder man der Opfer gedenkt.


(Quelle WR vom 12.02.2014)



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